Die Multi-Piece-Kits von Revell im Maßstab 1:32
EARLY FINS
Teil 1: Die Revell-Bausätze im Maßstab 1:32
Noch bevor die Firmen amt und Johan in den Jahren 1958/59 mit ihren US Car-Bausätzen den Maßstab 1:25 zu etablieren versuchten, bot Revell bereits sechs aktuelle Straßenkreuzer des Jahres 1956
als Multi-Piece-Kits mit Motornachbildung und Figuren in der Größe 1:32 an.
Wie alles begann...
Da es in den späten ´40er und frühen ´50er Jahren nur wenige Bausätze gab, die zudem aus Holz-, Gummi- und Kunststoffteilen bestanden und daher oft genug recht grob ausfielen, begann die Geschichte des eigentlichen Plastikmodellbaus erst im Jahre 1952. Unter dem Namen "Gowland & Gowland" (dahinter standen Vater Jack und Sohn Kelvin Gowland, Einwanderer aus Großbritannien und Spielwarenfabrikanten) entstanden in Santa Barbara/Kalifornien die ersten reinen Plastikmodelle. Unter der Bezeichnung "Highway Pioneers" entwickelten Jack und Kelvin Gowland eine Serie von zwölf Auto-Bausätzen nach Vorbildern aus den Jahren zwischen 1900 und 1953, die in Multi-Piece- Bauweise im Maßstab 1:32 gehalten waren.
Bereits ein Jahr später, 1953, stießen Vater und Sohn Gowland auf der Suche nach einem geeigneten Partner für die Entwicklung und den Vertrieb ihrer Highway Pioneers auf Lew Glaser, der mit seiner Frau Royel die Firma Revell gegründet hatte und sich in dem boomenden Geschäft bestens auskannte. So wurden in der Zeit zwischen 1953 und 1958 Millionen dieser Bausätze in alle Welt verkauft, ab 1956 auch durch Revell/Deutschland in Bünde. Die Blütezeit des Plastikmodellbaus hatte begonnen...
Die US Cars von Revell im Maßstab 1:32
Nach dem Erfolg der Highway Pioneers lag es nahe, weitere Bausätze dieser Art nach neueren Vorbildern zu entwickeln, um den steigenden Ansprüchen der Modellbauer gerecht zu werden. So erschien
1956 unter dem Revell-Banner eine Serie von sechs aktuellen Straßenkreuzern: Cadillac Eldorado, Chrysler New Yorker, Lincoln Continental, Mercury Montclair, Ford Fairlane und Buick Century. Aus
fertigungstechnischen Gründen musste an der von den Highway
Pioneers bekannten Multi-Piece-Bauweise festgehalten werden und auch der
von diesen Kits vorgegebene Maßstab 1:32 blieb bestehen.
Trotzdem ließen sich riesige Fortschritte erkennen. Verbesserte Werkzeuge und Formen erlaubten es, die Bausatzteile wesentlich feiner und filigraner zu gestalten; trotz der deutlich gestiegenen
Teilezahl konnten sich die Modellbauer über eine hervorragende Passgenauigkeit freuen. Alle Modelle verfügten über sehr gut detaillierte Fahrwerke und Innenausstattungen, eine Motornachbildung,
abnehmbare Motorhauben, jeweils zwei Figuren sowie Chromteile für Kühlergrills, Radkappen, Embleme, Stoßstangen und Scheinwerfer.
Noch nicht gelöst war das Problem der Klarsichtteile. So wurden die frühen Serien dieser Bausätze ohne jede Art von Scheiben ausgeliefert, während den späteren Auflagen ein Streifen
Klarsichtfolie beilag, der als Scheibenersatz dienen musste. Es gab auch noch keine Vinylreifen heutiger Prägung; die einteiligen Reifen und Felgen befanden sich bei den anderen Plastikteilen am
Spritzling und mussten äußerst genau und sorgfältig bemalt werden. Und das sind die sechs Bausätze dieser Serie im Einzelnen:
Der Cadillac Eldorado Biarritz von 1956
Als absoluter Luxusliner dieser Serie verfügt der Bausatz des offenen Cadillac Eldorado (Artikelnummer H – 1200) über 40 Bauteile aus weißem Plastik, zwei Metallachsen und 14 (!) Chromteile. Die
Karosserie (ohne Motorhaube) besteht aus fünf Teilen: Zwei Seitenteile mit den Unterseiten der vorderen Kotflügel, ein Heckteil mit dem Kofferraum und zwei obere Vorderkotflügel mit den inneren
Radhäusern. Immerhin sind die Trenn- und späteren Klebenähte so gestaltet, dass sie an Sicken oder Zierleisten liegen und somit bei sauberer Arbeitsweise später nicht übermäßig auffallen.
Die eher rustikale Motornachbildung umfasst nur sechs Teile und zeigt lediglich die Oberseite des V8-Triebwerks. Als Figuren liegen diesem Modell ein gut gekleideter Fahrer und eine ebenso
elegante Beifahrerin bei. Der Bauplan enthält mit den "Interesting facts about your Cadillac Eldorado" einige Informationen zum Original und eine Montageanleitung in vier Stufen. Der Cadillac
Eldorado wurde zuletzt 1996 noch einmal aufgelegt und mit Klarsichtfolie für die Windschutzscheibe ergänzt.
Der Chrysler New Yorker De Luxe St. Regis von 1956
Der letzte Schrei des Jahres 1956 waren die so genannten "Three Tone Paint Schemes", also Lackierungen in drei aufeinander abgestimmten Farbtönen. Revell greift diese Mode-Erscheinung auf dem
Deckelbild des 1956er Chrysler New Yorker auf und stellt das zweitürige Hardtop Coupe (H – 1201) in zwei Grüntönen mit schwarzem Dach dar – eine tolle Vorlage für den Modellbauer!
Der Schachtelinhalt präsentiert sich daher auch in einem hellen Grün (38 Teile) und natürlich Chrom (11 Teile), nicht zu vergessen die beiden Metallachsen. Wie immer gehören zwei Figuren zu dem
Kit, diesmal ein männlicher Fahrer im Auto und eine
stehende Frau mit Kind, die außerhalb platziert werden kann.
Wie auf der Abbildung zu sehen, legte Revell/Bünde jedem Bausatz eine unbebilderte, deutschsprachige (Rückseite: französische) Anleitung bei. Ein wörtliches Zitat daraus: "Nun wird die Karosserie
auf das Chassis gelegt und Leim auf die Bolzen der Türfüllungen und des Bodens gegeben sowie auch ein wenig an die Rückwand des hinteren Sitzes." Wer dieses Modell trotzdem zusammen bekommt,
verdient allerhöchsten Respekt!
Der Lincoln Continental Mark II von 1956
Wie das Auto auf dem Deckelbild ist auch der Inhalt der Lincoln Continental Schachtel (H – 1209) überwiegend schwarz gehalten (36 Teile). Dazu gesellen sich noch 14 Chromteile und die
unvermeidlichen beiden Metallachsen, um das Modell in den vom Bauplan gezeigten sechs (!) Stufen fertig stellen zu können. In diesem Fall gibt es einen kompletten Motor, der aus acht Bauteilen
entsteht sowie einen ebenfalls gut detaillierten Motorraum mit Kühler, Bremskraftverstärker und anderen Einzelheiten.
Erstmals bleibt das Modell innen leer, denn die Dame im eleganten Abendkleid und der dienstbeflissene Chauffeur als Figuren werden außerhalb aufgestellt. Sollten die beiden jedoch nicht enthalten
sein, empfiehlt die deutschsprachige Bauanleitung: "Für fehlende Teile wenden Sie sich bitte direkt an die REVELL PLASTICS G.m.b.H. (21a) Bünde- Westf. Postschließfach 303, Abteilung X." Somit
feiert diese Abteilung, fast allen Modellbauern wohlbekannt, im Jahre2011 bereits ihren 55. Geburtstag!
Der Lincoln Continental war als Wiederauflage in den ´90er Jahren noch einmal kurze Zeit präsent – auch dieser Bausatz besaß wie der Cadillac eine Klarsichtfolie für die Scheiben und erschien in
einem etwas größeren Nachdruck der Original-Schachtel.
Der Mercury Montclair 4-Door Sport Sedan von 1956
Zusammen mit dem Buick Century zählt der Mercury Montclair (H – 1204) zu den selteneren Stücken des Bausatz- Sextetts von Revell, zumal es davon auch keine Wiederauflagen gab. Ein Blick auf die
Karosserieform dieser beiden Modelle zeigt darüber hinaus, dass die Revell-Entwickler äußerst gerecht vorgingen: Die 1:32er Serie enthält zwei offene Cabriolets (Ford und Cadillac), zwei Coupes
(Chrysler und Lincoln) sowie zwei viertürige Hardtop Sedans Mercury und Buick).
Der Bausatz enthält 42 Einzelteile in rotem Plastik, zehn Chromteile und die beiden Metallachsen. Im beginnenden Zeitalter der Gleichberechtigung stellen die beiden Figuren des Kits Frauen dar,
die auf den Vordersitzen des Modells Platz finden und sich offensichtlich angeregt unterhalten – bloß gut, dass die Modelle in der Vitrine stehen und nicht fahren!
Der Buick Century 4-Door Riviera von 1955/56
Der ebenfalls sehr seltene Buick Century-Bausatz (H – 1203) nimmt innerhalb der Revell 1:32er Serie eine Sonderstellung ein, da es ihn neben der üblichen ´56er Ausführung auch in einer Version
von 1955 gab. Wie die Abbildung zeigt, lagen einigen ansonsten völlig unveränderten Bausätzen sowohl der Kühlergrill mit der Frontstoßstange als auch die Heckstoßstange des Baujahres 1955 bei –
ein Beweis, dass diese Kits bereits früher am Markt waren als andere?
Die Einzelteile des Buick-Bausatzes sind aus blauem Kunststoff gefertigt und werden wie gewohnt durch Chromteile und Metallachsen ergänzt. Wie beim Lincoln Continental lassen sich der beiliegende
Herr und die sportlich gekleidete Dame nur außerhalb des Modells aufstellen, da sie beide in stehender Haltung nachgebildet sind.
Der Ford Fairlane Sunliner von 1956
Der Ford Fairlane Sunliner (H – 1202) stellt nach dem Cadillac Eldorado das zweite offene Cabriolet der Serie dar und ist somit besonders in Bezug auf die detaillierte Innenausstattung
interessant. Fahrwerk und Motor kommen bei diesem Kit dagegen eher etwas zu kurz: Die einteilige, durchgehende Bodenplatte mit dem aufgeprägten Fahrwerk verlangt besondere Sorgfalt bei der
differenzierten Farbgebung, vom Motor ist lediglich die schlicht detaillierte Oberseite zu erkennen.
Mit 40 gelben und 17 Chromteilen liegt der Bausatz trotzdem auf dem Niveau der anderen Modelle dieser Serie. Etwas aus dem Rahmen fallen die beiden Figuren: Am Steuer sitzt eine Dame, neben ihr
an der Fahrertüre steht ein Polospieler im Reiterdress. Der amerikanische Bauplan bringt es auf den Punkt: "Liveguard Design", "Thunderbird Styling" und "Thunderbird V8 Power" verliehen dem Ford
Fairlane das Zeug zum Bestseller – nicht nur im Maßstab 1:32!
Die Customizing-Kits von Revell im Maßstab 1:32
Der "Customizing"-Trend, der im Amerika der späten ´50er Jahre zu voller Blüte gelangte, konnte an den Herstellern von Modellauto-Bausätzen nicht spurlos vorüber gehen. Bei Revell bedeutete das
zunächst, dass die 1:32er Multi-Piece-
Bausätze in den Jahren 1957/58 zusätzlich als "Customizing-Kits" erschienen. In diesem Zusammenhang ist vor allem interessant, dass Royel Glaser, die Ehefrau des Revell-Gründers Lew Glaser, den
Trend erkannte und somit den Anstoß für diese Customizing-Serie gab.
Wie später auch amt und andere Hersteller setzte Revell auf die Mitarbeit anerkannter Customizer, um die Modelle so authentisch wie möglich zu gestalten. Im Falle der 1:32er Bausätze wurde kein
Geringerer als Großmeister George Barris konsultiert, um die zahlreichen Custom-Features zu entwerfen – eine Premiere mit weit reichenden Folgen, sowohl für George Barris, als auch für Revell,
wie die kommenden Jahre zeigen sollten (siehe auch "Imperial – The Finned Years", 1. und 2.Teil)!
Die Revell Customizing-Kits erschienen in großen, flachen Schachteln, deren Deckelbilder wahre Kunstwerke darstellten. Auch die Bauanleitungen wurden neu gestaltet und enthielten einen
ausführlichen Text zu allgemeinen Custom- Praktiken unter dem Titel: "Interesting facts about your Customizing Chrysler (Buick, Mercury, Ford...)".
Der Schachtelinhalt wich ebenfalls in einigen Belangen vom bisherigen Schema ab. So waren alle Einzelteile in einem Kunststoff gespritzt, der den Effekt einer Metallic-Lackierung imitierte. Jedem
Bausatz lag die enorme Anzahl von 78 "Custom Accessories" (inklusive Decals) bei, bestehend aus Fender Skirts, Hood Louvres und Scoops, Continental Kit, Heckflossen, Spotlights, Sidepipes,
Antennen und vielem mehr.
Auch der Kühlergrill und die Radkappen der Customizing-Kits trugen ein neues Design, so dass sich diese Bausätze nicht mehr "Stock" bauen ließen. Ein großer Decalbogen enthielt entweder die
damals hochaktuellen "Scallops" oder ein
Flammen-Dekor, angepasst an die Form des jeweiligen Modells.
Die Multi-Piece-Bausätze von Revell im Maßstab 1:32 sind heute gesuchte und hoch dotierte Sammlerstücke, zumal es nicht von allen und nur selten Wiederauflagen gab. Sie markieren wie nur wenige
andere Kits den Wendepunkt im Plastikmodellbau: Die Bewahrung der Vergangenheit durch ihre Multi-Piece-Bauweise und den "Gründer-Maßstab" 1:32 einerseits und andererseits den Aufbruch in die
Zukunft durch die Customizing-Optionen – der Beginn einer Bewegung, die den Modellbau in den nächsten Jahrzehnten maßgeblich prägen sollte
Gebaute Modelle des 1956er Cadillac Eldorado und des Lincoln Continental: Rainer Mill, Görlitz
Bilder und Text: Gerhard Hoffmann, Bachmehring
Kommentar schreiben