Upside Down 2.0

Upside down 2.0

 

Zweiter Aufschlag

 

Umbau Kunststoff-Kit, Maßstab 1:25

Aufmerksamen Lesern dieser Modellauto-Website wird der Begriff „Upside Down“ bekannt vorkommen – richtig: Unter genau dem Titel hat Custom King Günther Eberhardt bereits 2019 sein Modell des fiktiven „Doppel-DeSotos“ vorgestellt, zu lesen weiter unten in dieser Rubrik. Hier ist nun die damals bereits dringlich angemahnte „Antwort“: der „Upside Down 2.0“!

Die Idee und ihre Vorbilder

Bevor wir uns den Modellen zuwenden, müssen wir kurz auf die genialen amerikanischen Automobil-Designer der ´50er und ´60er Jahre eingehen, deren extrovertierte Formensprache die Idee zu diesen Custom Cars auf den Weg brachte. Als erster wäre hier Virgil M. Exner zu nennen, dessen Wirken bei Chrysler auf dieser Seite schon öfter gewürdigt wurde. Seine Formen für die 1960er Chrysler/DeSoto-Karosserien mit dem dominanten, trapezförmigen Kühlergrill und der markanten Sicke über den Scheinwerfern, die sich im vorderen Kotflügel fortsetzt und bereits auf Höhe des Ausstellfensters mit sanftem Schwung zur riesigen, aber dennoch eleganten Heckflosse ansteigt, darf guten Gewissens als Jahrhundert-Entwurf bezeichnet werden.


Ein weiterer Ideengeber für den Upside Down war der unvergleichliche General Motors-Stylingchef Harley Earl, an dessen 1959er Show Car Cadillac Cyclone erstmals die unteren Heckflossen als optisches Gegengewicht zu den oberen zu sehen waren. Unter seinem Nachfolger Bill Mitchell erschien dieses Styling-Element zunächst beim exklusiven Cadillac Eldorado Brougham von 1959/60 und schließlich in seiner bis dahin extremsten Ausprägung an allen Cadillac-Modellen der Jahre 1961 und 1962 - ebenfalls Meilensteine des amerikanischen Automobil-Designs, das ja zu dieser Zeit in der ganzen Weilt mehr oder weniger geglückt nachgeahmt wurde. Und schließlich lässt sich das Upside Down-Thema in abgeschwächter Form auch noch beim Ford Thunderbird von 1964 bis 1966 entdecken – eine Menge prominenter Vorbilder also für diese durchaus schlüssige Idee!


Was wäre also, wenn man Virgil Exners obere Karosserielinien des ´60er DeSotos im unteren Bereich „spiegeln“ würde und so frei nach Harley Earl vier riesige Heckflossen das Erscheinungsbild dieses Customs bestimmten -  sozusagen das Beste aus zwei Welten zusammengeführt wird? Die Basis dafür liefert wenig überraschend die „USA Oldies“-Wiederauflage des 1960er DeSoto Adventurer Hardtop Coupes von Jo-Han im Maßstab 1:25, ein Bausatz, der auf dieser Seite bereits des Öfteren im Mittelpunkt stand.

Die Upside Down-Modelle

Bei einem Projekt dieser Art muss man zunächst einmal bereit sein, mindestens zwei seltene und nicht mehr ganz billige Bausätze gnadenlos zu zersägen, wobei das Risiko des Scheiterns der ambitionierten Idee nie auszuschließen ist. Erster und zugleich wichtigster Arbeitsschritt ist das Zerschneiden der beiden DeSoto-Karosserien, denn davon hängt das Gelingen des Ganzen maßgeblich ab. Während Günther Eberhardt seine Karosserien ober- bzw. unterhalb der Zierleiste trennte (eine ausführliche Beschreibung seiner einzelnen Arbeitsschritte findet sich unter dem Titel “Upside Down“ in dieser Rubrik), verlief die Trennungsnaht in der 2.0-Version waagrecht von der Unterkante der Frontscheinwerfer nach hinten. Logischerweise musste das Dach des unteren Karosserieteils abgetrennt werden, außerdem war seitlich sowie vorne und hinten genügend Platz für das verkürzte Fahrwerk zu schaffen – verkürzt deshalb, weil zwischen den unteren Flossen ein großer Teil des Kofferraums stehen bleiben sollte und ein kleiner Teil der Motorhaube den Abschluss des unteren Kühlergrills bildete. 


Beim geteilten Kühlergrill und den nunmehr acht Scheinwerfen gab es nur wenig Möglichkeiten, von Günthers Vorbild abzuweichen, zum Beispiel durch die Anordnung der kleinen Stoßstangen-Ecken. Ganz anders präsentiert sich dagegen die Seitenlinie und das Heck der 2.0-Version: Die eingangs erwähnte, für das Erscheinungsbild des Fahrzeugs extrem dominante Karosserie-Sicke sollte auch im vorderen Bereich erhalten bleiben und wurde daher als schmaler Steg durch den vorderen Radlauf stehen gelassen. Aus dem gleichen Grund wurde auf den hinteren Radlauf komplett verzichtet, so dass sich auch die unteren Heckflossen ohne Unterbrechung durchziehen. Als weiteres wichtiges Gestaltungsmerkmal des ´60er DeSoto dürfen die absolut genial in die Heckflossen integrierten Rücklichter gelten; analog zu den vier die Front prägenden Doppelscheinwerfern mussten es natürlich auch vier Rücklichter werden!

Die Grundlagen der Upside Down 2.0-Formen waren damit abgesteckt, wie es auch die Bilder des Rohbaus zeigen. Damit ging es an die Feinheiten der Gestaltung, die wie immer wesentlich mehr Zeit- und Materialaufwand erforderten. Das DeSoto-Coupedach sollte in seinen Grundzügen übernommen werden, erwies sich aber ohne Änderungen als zu unspektakulär für einen Custom dieser Art. So bekam es zunächst korrespondierend zu den bereits vorhandenen vier Heckflossen zwei seitliche Finnen aufgesetzt, die aus einem (nie wieder aufgelegten!) Revell-Bausatz des 1962er Chrysler Newport Convertible in 1:25 stammten. Das große Glasdach und die dazu gehörenden Chromteile spendierte der 1956er Ford Crown Viktoria von AMT in 1:25.

Viele Experimente und eine schier endlose Suche im „Stoßstangen-Zimmer“ erforderte der Heckabschluss des Modells. Die originale DeSoto-Stoßstange wäre für die schmale Rundung zwischen den beiden von oben und unten aufeinander treffenden Kofferraumdeckeln viel zu klobig gewesen, so dass ein schlichter, schmaler Kompromiss getroffen werden musste. Die vier seitlichen Finnen aus der Wiederauflage des ´59er Imperial von AMT ober- und unterhalb der die Trennungsnaht verdeckenden Zierleisten führen bewusst zum Ansatz der hinteren Stoßstange, um diese nicht so unvermittelt aus der Karosserie ragen zu lassen. Das Lackierungsschema mit zwei eigens angemischten Grüntönen orientiert sich – wie auch bei Günthers Vorbild – an den Karosserie-Sicken bzw. den Heckflossen-Kanten, um das Auseinanderstreben der Seitenlinien zu betonen.

Die Innenaustattung des Modells ist eine bunte Mischung aus den unterschiedlichsten Komponenten. Die Wanne mit den Sitzen stammt aus einem nie vollendeten ´59er Ford Thunderbird Resin-Modell von Holthaus, das Armaturenbrett wurde einem schlachtreifen 1960er Plymouth Station Wagon von Jo-Han entnommen und mit Rundinstrumenten-Decals verfremdet. Das Lenkrad mit dem durchsichtigen Kranz wiederum spendete ein ´65er Buick Riviera von AMT, die Rückspiegel ein ´63er Mercury-Annual (!!!) von AMT und die Finnen neben der Motorhaube ein zweites (!!!) Revell Newport Convertible. Unter der Haube schlummert der nach Plan gebaute Motor des DeSoto-Kits und auch die Räder ließen sich unverändert aus diesem Bausatz übernehmen.

Bleibt zum Schluss noch die Frage nach der Praxistauglichkeit eines solchen Entwurfs, denn sowohl der Lenkeinschlag als auch die Bodenfreiheit des Hecks dürften im rauen Alltag schnell an ihre Grenzen stoßen. Aber mal ehrlich: Soll sich der kreative Genius durch solche kleingeistigen Einwürfe einschränken lassen? Die Antwort ist NEIN! und so werden auf dieser Seite weiterhin viele, vielleicht unpraktische, aber wunderschöne Hirngespinste zu sehen sein!


Rot/silbernes Modell: Günther Eberhardt, München

 

Grünes Modell, Text und Bilder: Gerhard Hoffmann, Bachmehring.

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    Christian (Sonntag, 04 Dezember 2022 12:11)

    Ein höchst geniales Gegenstück zu einem genialen Custom. Während Günthers Roter ein höchst aufwendiger und aufsehenerregender Custom ist, der aber durchaus noch im Verkehr verwendbarund dort in echt Legende geworden wäre, hast Du den Schritt zum Concept Car, damals noch viel romantischer Dream Car genannt, gemacht.
    Da sind selbst für Funktionalitätsfreaks wie mich die vergitterten vorderen Radausschnitte plausibel. Höchst ehrenhaft hast Du das Thema ja selbst angesprochen.
    Ich ziehe wieder einmal den Hut vor euer beider Imagination und Können und auch vor Deiner konsequenten Plünderung Deiner wertvollen Vorratsschätze.

  • #2

    rainer (Dienstag, 06 Dezember 2022 13:12)

    Ja, hält man's für möglich, da tummelt sich einer in der Abteilung CUSTOMS, der eigentlich in der Abteilung STOCK beheimatet ist. Da könnte man doch fast STOCK-narrisch werden.
    Aber wie der 'Abweichler' schon treffend bemerkt hat, gilt mannigfache Vielfältigkeit auch bei unserem Hobby.
    Da er, der Guru, mit fast allen Wassern gewaschen ist, macht er auch bei dem "grünen M..." eine sehr gute Figur. qualitativ hervorragend gebaut (unwiederbringliche) Teile verschwendet, gelungene Farbgebung. Ein einzigartiges Produkt in dieser Sparte. (Mal sehen ob's einzigartig bleibt).
    Genug der Lobhudelei. Bester Gerd, da ist Dir ein wirklicher Hammer gelungen. Respekt !!. Es lebe das Motto: ....nichts ist unmööööglich.

  • #3

    Reinhold (Dienstag, 06 Dezember 2022 15:49)

    Ich staune immer wieder, was man aus einem in der STOCK-Ausführung schon alles anderes als ein schlichtes Modell zu bezeichnen ist, custom-mäßig noch alles machen kann. Größten RESPEKT vor eurer Phantasie und der Umsetzung. Manchem mag es sauer aufstoßen bei dem Gedanken, gleich mehrere alte und verdammt seltene Bausätze für so ein Projekt zu opfern. Aber wenn man die Dinger in ausreichender Stückzahl schon daheim rumliegen hat - was solls?! Beide DeSotos gefallen mir sehr gut, sowohl in der Machart als auch die Farbauswahl! Einzig den Trennsteg bei den Vorderrädern hätt ich vermutlich weggelassen oder den Vorderrädern ebenso eine Vollverkleidung verpasst - was allerdings nicht maßgebend ist, da ich mich eh nie (?) überwinden könnte, auch nur annähernd so etwas gleichwertiges zu vollbringen. Dazu fehlt mir einerseits die Phantasie und anderseits ist mein Vorrat an seltenen und alten Modellen (Annuals) gelinde gesagt sehr eng begrenzt oder noch besser gesagt nicht vorhanden. Bin trotzdem gespannt, was uns als nächstes erwartet. Kann man das überhaupt noch steigern? Vielleicht mit einem "Tripple Cadillac fifty-nine" mit meterlangen Heckflossen?

  • #4

    Gerhard (Montag, 19 Dezember 2022 17:11)

    Die Frage der Vollverkleidung der Vorderräder anstelle des durchgehenden Steges hat mich lange beschäftigt und um ein Haar wäre es auch so gekommen. Eine Zeichnung mit verkleideten Vorder- und Hinterrädern brachte schließlich Klarheit - wenn man gar keine Räder mehr sehen kann, entsteht der eigentlich nicht erwünschte Eindruck eines Luftkissen-Fahrzeugs, was dann doch zu extrem geworden wäre. Also blieb es beim Kompromiss mit dem schmalen Steg, der die unverzichtbare Koflügelsicke spiegelt - nach einiger Zeit gewöhnt man sich auch daran!